Mobilität muss einfach und sicher sein - ADFC Düsseldorf

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Düsseldorf

Frank Masurat, Dr. Joachim Lohse und Dr. Caroline Lodemann (v. l. n. r.) diskutieren die ADFC-Vision Fahrradland-Plus.

Frank Masurat, Dr. Joachim Lohse und Dr. Caroline Lodemann (v. l. n. r.) diskutieren die ADFC-Vision Fahrradland-Plus. © ADFC/Deckbar Photographie

Mobilität muss einfach und sicher sein

Große Vision kompakt erklärt: Frank Masurat und Dr. Joachim Lohse aus dem ADFC-Bundesvorstand und Dr. Caroline Lodemann, die Politische ADFC-Bundesgeschäftsführerin, erläutern im Gespräch die ADFC-Vision „Fahrradland-Plus“.

Die Reform des Straßenverkehrsrechts ist vorerst abgeschlossen. Wie zufrieden ist der ADFC?

Frank Masurat: Die Reform war ein mehrjähriger Prozess, der beinahe gescheitert wäre, doch nun fürs Erste erfolgreich beendet ist: Das Straßenverkehrsgesetz, die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und auch die Verwaltungsvorschrift zur StVO sind reformiert. Was nach wie vor im Gesetz fehlt, ist die Vision Zero (keine Toten im Straßenverkehr, Anm. d. Red.) und Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts. Daher werden wir uns dafür einsetzen, dass die StVO weiterentwickelt wird, damit Kommunen z. B. Schulstraßen und Superblocks rechtssicher einrichten können. Wir wollen auch die Verkehrssicherheit weiter verbessern, beispielsweise durch sichere Kreuzungen. Insgesamt verbuchen wir die Reform als großen Lobbyerfolg des ADFC. Der Ball liegt jetzt aber im Feld der Kommunen, sie müssen ins Handeln kommen.

Dr. Caroline Lodemann, Politische ADFC-Bundesgeschäftsführerin
Dr. Caroline Lodemann, Politische ADFC-Bundesgeschäftsführerin © ADFC/Deckbar Photographie

Mobilität muss einerseits den Bedürfnissen aller Menschen gerecht werden, andererseits ist der Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral zu gestalten. Dabei ist der Radverkehr ein ernst zu nehmender Hebel und muss bei allen Verkehrsinfrastrukturinvestitionen gleich mitgedacht werden.“
Dr. Caroline Lodemann ist die Politische ADFC-Bundesgeschäftsführerin. Sie hat nach dem Ampel-Aus gemeinsam mit dem Vorstand und der Fachabteilung aus der Bundesgeschäftsstelle die ADFC-Vision „Fahrradland-Plus“ weiterentwickelt.

Die Vision Zero taucht beim ADFC immer wieder auf. Was ist damit eigentlich gemeint?

Caroline Lodemann: Die Vision Zero taucht nicht nur beim ADFC auf, sie ist als Ziel auch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD erwähnt. Das reicht natürlich nicht aus, die Vision erfüllt sich nicht von selbst. Dafür muss die Infrastruktur umgebaut werden – und Geld zur Verfügung stehen. Ein modernes Mobilitätssystem, das sich an der Vision Zero orientiert, berücksichtigt, dass Menschen Fehler machen. Es ist so geplant und gestaltet, dass es Unfällen vorbeugt, damit möglichst niemand mehr getötet oder schwer verletzt wird. Kinder und ältere Menschen, alle, die zu Fuß und per Rad unterwegs sind, werden besonders geschützt. Das setzt eine fehlerverzeihende Infrastruktur voraus, die sich für Menschen jeden Alters sicher und komfortabel anfühlt. Das System gewährleistet eine sichere und entspannte Mobilität für alle und ist gleichzeitig leistungsfähig. Wir meinen, dass das Fahrradland-Plus so ein Mobilitätssystem ist.

Dr. Joachim Lohse, Mitglied des ADFC-Bundesvorstands
Dr. Joachim Lohse, Mitglied des ADFC-Bundesvorstands © ADFC/Deckbar Photographie

Wie ist der ADFC denn auf das Fahrradland-Plus gekommen?

Joachim Lohse: Wir hatten zur Bundestagswahl 2021 den Aktionsplan „Fahrradland Deutschland“ aufgestellt und wollten damit die Bundesregierung in ihrem Handeln unterstützen. Weil wir belastbare Zahlen benötigten, haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, um die Potenziale des Radverkehrs für Klimaschutz und Verkehrsverlagerungen herauszufinden. 

Die Studie vom Fraunhofer-Institut ISI zeigt, dass Deutschland bis 2035 zu einem Fahrradland werden kann (siehe Kasten S. 9), wenn die bisherigen Maßnahmen zur Radverkehrsförderung deutlich intensiviert und die Kommunen fahrradfreundlich umgestaltet werden. Dadurch verbessert sich nicht nur die Mobilität, auch die Lebensqualität und die Funktionsfähigkeit von Städten und Regionen steigt deutlich. Gleichzeitig kann ein großer Anteil der verkehrsbedingten Treibhausgase eingespart werden.

Mit den Ergebnissen der Studie haben wir unseren Aktionsplan zum Fahrradland-Plus ausgeweitet. Wir sind überzeugt, dass Deutschland mehr Radverkehr, zukunftsfähige Strukturen und eine Vorzeige-Infrastruktur mit bundesweit flächendeckenden, sicheren und komfortablen Radwegenetzen wirklich weiterhilft: Auf dem Weg zur Arbeit bzw. bei der Verlagerung von Pendelfahrten, in ländlichen und strukturschwachen Räumen kann der Radtourismus die Wirtschaft ankurbeln und Kommunen werden sehr viel lebenswerter.

Frank Masurat, ADFC-Bundesvorsitzender
Frank Masurat, ADFC-Bundesvorsitzender © ADFC/Deckbar Photographie

Wir denken, dass der NRVP durch den Umsetzungsvertrag von Bund, Ländern und Kommunen verbindlich werden sollte. Ziehen alle an einem Strang, können mit den enthaltenen Maßnahmen durchaus die nationalen und internationalen Ziele im Verkehrssektor erreicht werden.“
Frank Masurat ist seit November 2023 der ADFC-Bundesvorsitzende. Um eine bessere Fahrradinfrastruktur zu erreichen, setzt er auf Demos und Aktionen, um Aufmerksamkeit zu schaffen, sowie auf fachlich fundierte Gespräche und Verhandlungen.

Der ADFC hat nach dem Ampel-Aus seine Forderungen geschärft. Wie lauten diese?

Frank Masurat: Wir haben vier Kernforderungen. Erstens: Einen Bundesmobilitätsplan, der alle Verkehrsträger einbezieht, auch den Rad- und Fußverkehr. Der Plan greift auf den Nationalen Radverkehrsplan (NRVP) zurück. Mit ihm hatte sich die Bundesregierung 2019 für durchgängige Radwegenetze, ausreichend Fahrradparkplätze und fahrradfreundliche Bedingungen bis 2030 ausgesprochen. Es mangelt aber an der Umsetzung. Deshalb fordert der ADFC als zweites einen Vertrag, der die Umsetzung des NRVP zwischen Bund und Ländern verbindlich macht. Unsere dritte Forderung ist, die Radverkehrsinfrastruktur bundesweit lückenlos auszubauen – und das „Radnetz Deutschland“ für den Alltag und den Tourismus auszurollen. Das muss natürlich solide finanziert werden. Daher ist unsere vierte Forderung, dass die neue Bundesregierung die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur mit Infrastrukturfonds neu ausrichtet.

Dr. Joachim Lohse, Mitglied des ADFC-Bundesvorstands
Dr. Joachim Lohse, Mitglied des ADFC-Bundesvorstands © ADFC/Deckbar Photographie

Das Radverkehrsnetz zu bauen und zu erhalten, ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Es fehlt aber eine koordinierte Planung und eine gesetzliche Regelung, die es dem Bund ermöglicht, Länder und Kommunen dauerhaft bei der Finanzierung der Radverkehrsinfrastruktur zu unterstützen.“
Dr. Joachim Lohse kennt als ehemaliger Bremer Senator für Umwelt, Bau und Verkehr die Fallstricke bei der Förderung und Finanzierung von Verkehrsprojekten vom Bund und deren Auswirkungen auf die Länder – und steuert die „Prise Praxis“ zur Vision Fahrradland-Plus bei.

Was ist der Vorteil eines Infrastrukturfonds?

Joachim Lohse: Die Finanzierung der Radverkehrsinfrastruktur ist – wie im gesamten Verkehrssektor – reformbedürftig. Es gibt überall einen massiven Investitionsstau, auch im Radverkehr. Es müssen also Gelder in den Erhalt, die Modernisierung und den Neubau von Radverkehrsanlagen fließen.

Aktuell haben wir viele Förderprogramme, deren Laufzeiten, Förderquoten und Förderbedingungen sehr unterschiedlich sind. Ihr Volumen schwankt oft mit den jährlichen Haushaltsverhandlungen. In der Folge sind die Zeiträume zu kurz, um die Mittel abzurufen. So erhält man keine Planungssicherheit, sondern sorgt für Stagnation. Und die Kluft zwischen den Bundesländern wird größer: Die Mittel fließen in die reichen Bundesländer, die Schubladen voll planreifer Projekte haben, während die ärmeren Bundesländer leer ausgehen.

Deshalb schlagen wir vor, Infrastrukturfonds mit festgelegten Finanzierungssäulen für alle Verkehrsträger über mehrere Jahre hinweg einzurichten. Das fordern übrigens auch die Verkehrsministerinnen und -minister der Länder immer wieder, denn durch die Verstetigung der Finanzmittel schafft man Planungssicherheit. Sind Kriterien und Ziele, wofür die Mittel eingesetzt werden sollen, klar formuliert, ist das auch sehr transparent.

Das Radverkehrsnetz zu bauen und zu erhalten, ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Es fehlt aber eine koordinierte Planung und eine gesetzliche Regelung, die es dem Bund ermöglicht, Länder und Kommunen dauerhaft bei der Finanzierung der Radverkehrsinfrastruktur zu unterstützen. Auch das ist Teil unserer Vorschläge.

Frank Masurat, ADFC-Bundesvorsitzender
Frank Masurat, ADFC-Bundesvorsitzender © ADFC/Deckbar Photographie

Ein gutes Stichwort: Der Nationale Radverkehrsplan 3.0 soll bis 2030 gelten. Bislang wurde von der Strategie nicht viel umgesetzt …

Frank Masurat: Um den Nationalen Radverkehrsplan werden wir international durchaus beneidet – er ist eine gute Grundlage. Ihm fehlt es aber an Verbindlichkeit. Dabei lässt er sich leicht zu einem Umsetzungskonzept in Richtung Fahrradland-Plus weiter entwickeln, wenn a) die Verantwortlichkeiten von Bund, Ländern und Kommunen festgelegt und b) die finanziellen Mittel an den Bedarf angepasst werden.

Wir denken, dass der NRVP durch den Umsetzungsvertrag von Bund, Ländern und Kommunen verbindlich werden sollte. Ziehen alle an einem Strang, können mit den enthaltenen Maßnahmen durchaus die nationalen und internationalen Ziele im Verkehrssektor erreicht werden.

Als der ADFC seine Forderungen nach dem Ampel-Aus überarbeitet hat, war das milliardenschwere Sondervermögen für Deutschland noch nicht in Sicht. Ändert das Paket etwas an den Forderungen des ADFC?

Caroline Lodemann: Das Sondervermögen muss klug und nachhaltig in die Zukunft investiert werden. Mobilität ist ein Sektor, der dringend weiterentwickelt werden muss und dabei großes Potenzial hat: Mobilität muss einerseits den Bedürfnissen aller Menschen gerecht werden, andererseits ist der Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral zu gestalten. Dabei ist der Radverkehr ein ernst zu nehmender Hebel und muss bei allen Verkehrsinfrastruktur-Investitionen gleich mitgedacht werden. 

Menschen wollen kostengünstig, klimaschonend und sicher ihre Ziele erreichen. Wie gut sich Arbeitsplätze, Schulen, Bahnhöfe etc. erreichen lassen, ist zentral für die Wettbewerbsfähigkeit von Kommunen und ihren wirtschaftlichen Erfolg. Beschäftigung, Wohlstand und soziale Teilhabe sind der Kitt unserer Gesellschaft. Es wird eine schwere Aufgabe sein, allen Faktoren gerecht zu werden, aber das muss der Politik mithilfe von Expert:innen aus allen Verkehrsbereichen zügig gelingen.

Dr. Caroline Lodemann, Politische ADFC-Bundesgeschäftsführerin
Dr. Caroline Lodemann, Politische ADFC-Bundesgeschäftsführerin © ADFC/Deckbar Photographie

Wie sieht denn die Vision des ADFC hier konkret aus?

Caroline Lodemann: Als ADFC werben wir natürlich für mehr und besseren Radverkehr, auch weil wir wissen und belegen können, dass das Fahrrad bei vielen Problemen eine Lösung ist. Das wird aber viel zu wenig berücksichtigt. Aktuell reagiert man mit Planungen und Investitionen nur. Es wird nicht gestaltet oder nach neuen Lösungsansätzen gesucht, dabei kann Politik mit Konzepten zur Verkehrsberuhigung, Gesundheits- und Bewegungsförderung die Bedingungen aktiv steuern.

Das Deutschlandticket hat den Tarifdschungel beendet und den ÖPNV attraktiver gemacht. Bei der Fahrradmitnahme gibt es weiter viele Tarife und Einschränkungen. Es wäre einfacher, wenn das Deutschlandticket z. B. auf eine zusätzlich buchbare Fahrrad-Option ausgeweitet wird. Wir brauchen auch gute, sichere und überdachte Fahrradabstellanlagen an Bahnhöfen und Haltestellen, da nicht alle das Fahrrad in Bus und Bahn mitnehmen möchten.

Im Koalitionsvertrag steht nicht viel zum Radverkehr. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?

Joachim Lohse: Im Koalitionsvertrag steht, dass der Rad- und Fußverkehr als Bestandteil nachhaltiger Mobilität gestärkt und gefördert werde. Das ist gut, aber jetzt muss „Butter bei die Fische“: Der Radwegeausbau an Bundesstraßen muss vorangehen und die Finanzierung muss stimmen. Wir erwarten, dass die Regierung in ihren ersten 100 Tagen einen Entwurf für einen Bund-Länder-Vertrag sowie Finanzierungskonzepte erstellt. Der Vertrag soll dazu verpflichten, den NRVP umzusetzen.

Protected Bikelane in Berlin Holzmarktstraße
Protected Bikelane in Berlin Holzmarktstraße. © ADFC/April Agentur

Zehn Gründe für das Fahrradland-Plus

1. flüssiger Verkehr und weniger Stau

2. attraktiver Wirtschaftsstandort durch moderne Infrastruktur für alle

3. mehr Verkehrssicherheit und weniger Tote

4. sichere Schulwege und kinderfreundliche Quartiere

5. gesündere Menschen durch aktive Mobilität

6. hohe Lebensqualität und entspannter Lebensstil

7. saubere Luft und klimafreundlicher Verkehr

8. starke Umsätze im Radtourismus als regionale Wirtschaftsförderung

9. bezahlbare Mobilität und mehr gesellschaftlicher Zusammenhalt

10. kleine Ausgaben, große Wirkung durch Investitionen in den Radverkehr

Potenziale des Radverkehrs

Deutschland hat das Potenzial, den Radverkehr in allen Regionen zu verdreifachen und so für mehr Platz auf den Straßen zu sorgen. Der Pkw-Verkehr ließe sich in den Kommunen halbieren, wenn der Anteil des Radverkehrs auf Wegen bis 30 Kilometern bis 2035 auf 45 Prozent steigt. So ließen sich jährlich 19 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente einsparen.

Zentrale Voraussetzungen dafür sind:

1. Einladende Radverkehrsinfrastruktur: Verdreifachung und Verbesserung der Radwegenetze in ganz Deutschland – sicher und komfortabel vom Autoverkehr getrennt.

2. Fahrrad im Umweltverbund: Wird der Radverkehr gut in den öffentlichen Verkehr eingebunden, sind Bahnhöfe und Haltestellen gut per Rad erreichbar und haben moderne Fahrradabstellanlagen – steigt das Potenzial der Verlagerung des Autoverkehrs weiter.

3. Fahrradfreundliche Kommunen: Städte und Gemeinden, die den Umweltverbund fördern und durch kurze Wege zu mehr Radfahren einladen, sind lebenswerter und sicherer als Städte, die weiter das Auto bevorzugen.

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